Der Himmel über Sodom - Grußwort zur Uraufführung

Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt Jochen Partsch

Jochen Partsch, © Christian Grau

Sie ist eine sehr aktuelle Geschichte, gleichzeitig schon sehr alt: Fremde kommen auf der Flucht in eine Stadt und werden zunächst gastfreundlich aufgenommen. Bald jedoch regt sich Unmut in der Bevölkerung, glauben sich die Einheimischen bedroht und versuchen einige, die Neuankömmlinge wieder zu vertreiben. Gewalt entsteht.

Was wie eine Beschreibung von Teilen Deutschlands und Europas im Jahre 2017 klingt, ist eine weit mehr als 3.000 Jahre alte Geschichte, die sich bereits im Talmud, genauso in der Bibel und im Koran findet: Die Geschichte von Sodom und Lot.

So vielfältig die menschlichen Kulturen sind, so gibt es doch vieles, was sich gleicht oder ähnelt. In fast allen Gesellschaften dieser Welt ist die Gastfreundschaft ein hohes Gut. Fast überall ist der Einzelne aufgefordert, Menschen in Not, Kindern, Alten, Schwachen, Armen und Kranken zu helfen, Grundprinzipien des Miteinanders und der Menschlichkeit einzuhalten, die nicht ohne Grund auch Judentum, Christentum, Islam und viele andere Religionen verbinden.

Wie sollen, wie müssen wir selbst in einer solchen Situation handeln? Können wir diese grundlegenden Prinzipien der Menschlichkeit einhalten oder sollten wir uns lieber heraushalten, um nicht selbst zum Opfer zu werden? Teilen wir gar die Befürchtungen, die aus dem Fremden, Ungewohnten, Neuen erwachsen?

Mit der Reformation hat Martin Luther die Grundlage dafür gelegt, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, in der nicht mehr Autoritäten entscheiden, sondern jeder Mensch zuerst seinem eigenen Gewissen verpflichtet ist. Diese Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein Privileg. Sie ist aber gleichzeitig auch eine Verpflichtung und eine Last. Fordert sie doch von jeder und jedem Einzelnen diese Entscheidung ein. Wir können sie nicht mehr einfach auf andere, auf Autoritäten, Fürsten oder Führer abwälzen. Wir sind es, die unsere Welt mit gestalten, selbst für uns verantwortlich sind und uns auch immer wieder neu entscheiden müssen, nach welchen Grundsätzen wir uns verhalten wollen. Wir tragen Verantwortung für uns, unsere Familien und das gesellschaftliche Klima, in dem wir leben.

Auch diese Lehre enthält die Fabel, die Gegenstand des Oratoriums von Eric Giebel und Wolfgang Kleber ist. Sie haben ein sehr politisches Stück geschaffen, das sowohl in seiner religiösen wie auch der gesellschaftspolitischen Dimension klar Position bezieht. Gerechtigkeit auf der Welt kann nur bestehen, wenn wir, jede und jeder Einzelne von uns bereit sind, nach den Prinzipien der Gerechtigkeit zu handeln. Und zumindest die Grundprinzipien der Menschlichkeit zu wahren und zu verteidigen.

Welche Prinzipien die richtigen sind, welche Regeln die Menschlichkeit wahren und der Gerechtigkeit am nächsten kommen, ist eine Frage, die immer wieder vom Einzelnen wie von der ganzen Gesellschaft neu beantwortet werden muss. Gut, dass wir dabei Hilfe erhalten, aus unseren Religionen ebenso wie durch Vorbilder, die im Oratorium von Lot verkörpert werden. Hilfe aber bietet auch die Kunst deren Stärke es ist, unseren Blick und unsere Sichtweise zu verändern, bestimmte Aspekte zu betonen, die uns sonst entgehen würden, und Fragen zu stellen, die unsere Gewissheiten einer Prüfung unterziehen.

Deshalb bin ich sehr dankbar, dass Wolfgang Kleber mit der Unterstützung des Schriftstellers Eric Giebel dieses Oratorium geschaffen hat und nun uraufführt. Mein herzlicher Dank gilt allen mitwirkenden Künstlerinnen und Künstlern, allen Solistinnen und Solisten, aber auch den Mitgliedern des Projektchores der Paulusgemeinde.

Ich wünsche der Uraufführung des Oratoriums viel Erfolg und viele interessierte Gäste. Möge es mithelfen, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt den richtigen Weg in die Zukunft finden.

Jochen Partsch, im November 2017